Geschichte der Grazer Juristischen Gesellschaft
Die Grazer Juristische Gesellschaft geht auf das Jahr 1863 zurück (zur 150 Jahre-Feier). Der Verein sollte der "Förderung der Rechts- und Staatswissenschaften in Theorie und Praxis dienen. Zur Erreichung dieses Zweckes wurden einerseits ein Lesezimmer und eine Bibliothek im Vereinslokal, nämlich im 1. Sack Nr. 306, das ist das heutige Haus Sackstraße 9, eingerichtet. Andererseits wurden Vorträge und Besprechungen über wissenschaftliche Gegenstände und Streitfragen und "Übungen in gerichtlicher Beredsamkeit" durchgeführt. Die Bedeutung dieser Gesellschaft ersieht man daraus, dass noch im Jahr der Gründung, nämlich am 28. November 1863, zwei bedeutende auswärtige Professoren zu Ehrenmitgliedern der Juristischen Gesellschaft gewählt werden konnten. Es handelt sich dabei um den Germanisten und Strafrechtler Karl Josef Anton Mittermaier aus Heidelberg und den Pandektisten, Straf- und Zivilrechtler Karl Georg von Wächter aus Leipzig. Auch in Österreich hatte sich in dieser Zeit die historische Schule auf Grund der Universitäts- und Unterrichtsreform des Ministers Graf Theo Thun-Hohenstein durchgesetzt. Dadurch war die exegetische Schule, welche in Österreich in den ersten Jahrzehnten nach dem Inkrafttreten des ABGB herrschend war, abgelöst worden. Nicht nur die Grazer Juristenfakultät hing dieser historischen Schule an, sondern auch die Juristische Gesellschaft in Graz, wie die Wahl der beiden deutschen Professoren, die bedeutende Vertreter dieser Ausrichtung waren, zeigt.
Gründungszeit
Der erste Präsident der Juristischen Gesellschaft war der in Graz 1804 geborene Franz Freiherr von Lattermann. Sein Berufsweg führte ihn von Graz über Rovigno, Triest, Verona und Mailand zum Appellationsgericht nach Venedig. In der Zeit der italienischen Revolution stand er als Präsidentstellvertreter des steirischen Landrechtes, sodann im Justizministerium in Verwendung. 1855 wurde er zum Präsidenten des Oberlandesgerichtes für das Großfürstentum Siebenbürgen ernannt und als solcher mit dem Orden der Eisernen Krone ausgezeichnet. Nach der Auflösung des genannten Oberlandesgerichtes leitete er provisorisch das Landesgericht Graz und wurde 1864 Präsident des Oberlandesgerichtes Graz für Steiermark, Kärnten und Krain. Mit dem Großkreuz des Franz-Josef-Ordens ausgezeichnet schied er im Jahre 1874 aus dem Staatsdienst aus.
5 Jahre nach der Gründung der Juristischen Gesellschaft in Graz erfolgte eine Statutenänderung. Ab 1868 nannte sich die Gesellschaft "Juristen-Verein in Graz". Die Aufgabenstellung blieb allerdings weitgehend dieselbe. Die Gesellschaft hat auch unter ihrem neuen Namen eine Bücherei betrieben, die offensichtlich zum Mittelpunkt der Vereinigung wurde. Im Gesellschaftslokal, das in die Sackstraße 14 verlegt worden war, befanden sich im Jahre 1899, wie sich aus einem gedruckten Bücherverzeichnis ergibt, etwa 2000 Bände. Ein Vereinsdiener hatte dort von Montag bis Samstag 12 Stunden täglich und am Sonntag weitere drei Stunden Dienst zu tun. Wenn er den Vereinsmitgliedern Bücher in deren Wohnung oder Büro zustellte, musste ein erwachsenes Familienmitglied des Vereinsdieners im Vereinslokal anwesend sein. Dieser Juristen-Verein in Graz muss also über beträchtliche Geldmittel verfügt haben, konnte er doch ein Vereinslokal anbieten und einen Vereinsdiener anstellen. Darüber hinaus wuchs die Bibliothek bis 1938 auf etwa 7000 Bände an.
In einem handschriftlichen Mitgliederverzeichnis, das uns erhalten geblieben ist , finden sich die Namen zahlreicher Grazer Juristen. Viele der heutigen Mitglieder der Grazer Juristischen Gesellschaft haben Vorfahren, die in diesem Mitgliederverzeichnis angeführt sind.
Auflösung und Wiedergründung
Aus dem Vereinsakt ergibt sich, dass die GJG durch das Nationalsozialistische Regime aufgelöst wurde. Aus den Unterlagen ist für diese Auflösung kein Grund ersichtlich, doch kann angenommen werden, dass der Juristen-Verein der Gründung des Reichsrechtswahrerbundes ebenso zum Opfer fiel, wie zahlreiche andere Vereinigungen in Österreich auch. Nach Kriegsende begannen die ersten Überlegungen, einen Nachfolger für den aufgelösten Verein zu gründen. Tatsächlich gelang es aber erst 1959.
Zum ersten Obmann nach der Wiedergründung wurde der damalige Ordinarius für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Grazer Universität, späterer Präsident des Verfassungsgerichtshofes und Professor in Wien Erwin Melichar gewählt. Obmannstellvertreter wurde der damalige Präsident der Rechtsanwaltskammer Bauer-Maier, Kassier der Generaldirektor der Steiermärkischen Sparkasse Pauritsch.
Schriftführer waren der Rat des OLG Graz Manfred Wegan, der kurze Zeit später zum Präsidenten des LG f ZRS Graz ernannt wurde und schließlich an die Universität wechselte und dort Ordinarius für Zivilprozessrecht und Agrarrecht wurde, und der damalige Staatsanwalt und jetzige Oberstaatsanwalt Hofrat Flick.
Wegan scheint von allem Anfang an de facto die Juristische Gesellschaft geleitet zu haben und wurde nach dem Abgang Melichars nach Wien zum neuen Obmann gewählt. Er blieb dies bis zu seinem Tode im Jahre 1974. Wegan hat sich durch 15 Jahre um die Grazer Juristische Gesellschaft besonders verdient gemacht und wesentlich zum guten Ruf, den die wiedergegründete Juristische Gesellschaft auszeichnet, beigetragen.
Die Bibliothek der Gesellschaft blieb bis Anfang der 1960-er Jahre erhalten. Die Satzung des Juristen-Vereins hatte vorgesehen, dass im Falle der Auflösung des Vereins das Vereinsvermögen wissenschaftlichen Zwecken zu widmen ist. So wurde 1962 nach langem Aktenlauf dem Landesarchiv eine Reihe von Styriaca und allgemein historischen Werken wunschgemäß überlassen. Der Bibliothek des Oberlandesgerichtes wurde eine Reihe von Zeitschriftenjahrgängen übergeben. Den Rest erhielt schließlich die Fakultätsbibliothek der Karl-Franzens-Universität Graz zugesprochen, die 1033 Bände in ihren Bestand nahm. Es handelt sich dabei zum Großteil um Bücher, die in der Fakultätsbibliothek überhaupt nicht vorhanden waren. Man ersieht daraus, welch wichtige Rolle die Bibliothek des Juristen-Vereins für die Grazer Juristen und Juristinnen gespielt haben musste. Zahlreiche Bände wurden von der Fakultätsbibliothek zur Dublettenverwertung bereitgestellt und haben im Tauschwege der Fakultätsbibliothek noch beachtliche Zuwächse gebracht.
1970er bis 2000er Jahre
30 Jahre lang lenkte Horst Wünsch, langjähriger Vorstand des Instituts für Österreichisches und Internationales Unternehmens- und Wirtschaftsrecht, die Geschicke der Gesellschaft. Für seine Verdienste um die GJG wurde ihm 2012 die Ehrenmitgliedschaft verliehen (Ehrenmitglieder).
Im Anschluss an Prof. Wünsch übernahm Franz Marhold, damaliger Vorstand des Grazer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht, den Vorsitz im Vorstand der Gesellschaft und blieb in dieser Funktion bis zu seiner Berufung an die Wirtschaftsuniversität Wien im Jahr 2012. 2012 wurde Günther Löschnigg zum Präsidenten der GJG gewählt.
Aktuell
Der derzeitige Vorstand setzt sich traditionellerweise aus Vertretern möglichst unterschiedlicher juristischer Berufsgruppen zusammen (Vorstand). 2013 wurden die Statuten an das Vereinsgesetz 2002 angepasst. Weiters wurde für die Gesellschaft ein eigenes Logo kreiert (Copyright: Mag. Ilse Löschnigg) und eine Homepage eingerichtet.
Seit 2013 werden die Veranstaltungen verstärkt in Kooperation mit anderen Einrichtungen des akademischen Lebens, Universitätsinstituten, alumni-JUS etc abgehalten.
Autoren: Horst Wünsch/Günther Löschnigg